„Ligurien ist einsam, ursprünglich und wild […]. Eine Reise durch eine märchenhafte Landschaft […] auf alten Militärpisten und Schmugglerwegen.“ So hieß es in der Fernsehsendung „Trans-Ligurien: Im Paradies der Mountainbiker“ in der Reihe Bergauf-Bergab des Bayerischen Rundfunks. Dadurch inspiriert kreierte Ralph eine komplette Tour mit gut fahrbaren Uphills, epischen Downhills, Sightseeings, Einkehr und Übernachtungen. Eine echte Traumtour.
So ging’s los
Nach Zwischenstopp und Einradeln am Gardasee fuhren wir nach Limone im Piemont. Klingt nach südlichen Zitronenhainen, doch weit gefehlt. Während es daheim in Franken hochsommerlich heiß war (im Mai 2023) und viele Leute in den Pfingstferien lieber daheim blieben anstatt in den Süden zu fahren, erwischten wir am Gardasee und in den See-Alpen eine ziemlich labile Wetterlage.
Den Anreisetag genossen wir noch bei schönem Wetter mit einem Bummel durch den kleinen Ort Limone mit dem morbiden Charme eines schon länger zurückliegenden Skitourismus-Booms und einer Stärkung für die bevorstehende Biketour in der Pizzeria La Diligenza. Zumindest für den Vormittag des ersten Tourtages war noch Sonne vorhergesagt. Unsere Hoffnung auf gutes Wetter war groß, doch sie wurde leider nicht erfüllt. Die Wettervorhersage lag total daneben. Morgens schon begrüßte uns Regen.
Zufahrtsprobleme und Schneeregen
Zudem war die Zufahrtsstraße gesperrt. Nach kurzem Shuttle zur Skilift-Talstation in Limonetta starteten wir gut eingepackt bei 14 °C und Nieselregen. Als wir die Grenzkammstraße erreichten, regnete es wieder kräftiger. Schneeregen, ganze 20 Meter Sicht, 5°C, eiskalter Wind, erst nur matschige und bald darauf unfahrbare Schneefelder mit hüfthohem Schnee in den Kehren des Nordhangs machten uns zu schaffen. Nach mühsamen vier Stunden und 1000 Höhenmetern war die Stimmung im Keller. Die Einkehr mittags in der La Barbera-Hütte nutzten wir vor allem zum Aufwärmen. Das Gute: Es konnte nur besser werden.
Das tat es dann glücklicherweise auch. Die einsame Berghütte La Terza, die nur für uns geöffnet hatte, erwartete uns am Abend. Die Wolken zogen auf, eine lange Abfahrt durch einen bereits zartgrünen Lärchenwald ließ die Laune gleich viel besser werden. Es ging außerdem dem Highlight des Tages entgegen: dem Monte Saccarello, der mit 2200 m der höchste Berg Liguriens.
Erst Sonne – dann wieder Regen
Die zweite, recht kurze Etappe begann bei Sonne und guter Aussicht. Wir radelten nahe am Grat entlang über den Passo di Garlenda zum Colle del Garezzo und dann weiter auf meist ziemlich nassen Trails über einen landschaftlich sehr reizvollen Bergrücken. Durch dichte Esskastanien-Urwälder fuhren wir hinab nach Corte und Molini, wo wir wie tags zuvor direkt den Wasserschlauch ansteuerten, um die Räder von der Schlammkruste zu befreien.
Am dritten Tag waren vormittags zwei Abfahrten geplant, doch wieder machte uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung und wir mussten umplanen. Während der Auffahrt zum ersten Trail erwischte uns ein so starker Schauer, dass wir uns für den leichteren Fantasy-Trail entschieden. Der war zu unserer Überraschung trotz teils fließendem Wasser in der Spur erstaunlich gut fahrbar.
Gruselige Ecken und schöne Aussichten
Den zweiten Downhill mussten wir weglassen, weil er weder sinnvoll noch zeitlich machbar war. Statt der geplanten Trailauffahrt nach Realdo nahmen wir die Straße und fuhren über Triora. Das historische „Hexen-Dorf“ wird wegen der Hexenprozesse im Mittelalter auch das „Salem von Europa“ genannt. Auf einem Spaziergang erkundeten wir
das kleine verwinkelte Örtchen mit seinen gruselig dunklen Ecken, eindrucksvollen Malereien auf Türen und Fenstern, steilen Treppen und grandiosen Aussichten.
Auf der Weiterfahrt bot das Argentina-Tal mit seinen hohen Felswänden eine wundervolle Landschaft. Erst spät erreichten wir das wie ein Vogelnest hoch oben auf einer steilen Felswand gelegene Realdo in 1800 m Höhe mit seinen gerade mal noch sechs dauerhaften Einwohnern. Der Hüttenwirt Giampiero servierte uns zum Empfang ein 6-Gänge-Menü und wir genossen den Abend bei einem Gläschen Rotwein auf der Terrasse des Rifugio über den Dächern des mittelalterlichen Dorfes.
Beschwerlich und wieder nass
Am vierten Tag fuhren wir ohne Gepäck. Dennoch hatten wir bei sehr wechselhaftem Wetter eine mühsame und beschwerliche Auffahrt zum Balcon de Marta in den französischen Seealpen. Oben hingen wir in den Wolken fest. Die vermutlich wunderbare Aussicht konnten wir nur erahnen und ein Picknick auf dem Gipfel bei kaltem Wind schien nicht verlockend. Stattdessen besichtigten wir einen unterirdischen Militärbunker und alte Militärstellungen. Am Wegesrand erfreuten wir uns an den Wiesen voller wilder Tulpen und Orchideen. Eines der Highlights der gesamten Tour krönte den Tag: eine sehr lange und traumhafte Trailabfahrt ins Argentina-Tal. Abwechslungsreich und trotz des stellenweise matschigen Untergrunds purer Genuss.
Über die alte Römerbrücke ging es wieder hinauf nach Realdo zum nächsten leckeren Abendessen.
Die fünfte Etappe über steckten wir meistens in den Wolken, aber es blieb (fast) trocken und uns erwarteten wieder tolle Abfahrten. Lange Zeit führte der Weg immer auf gleicher Höhe am Hang entlang. Er war oft absturzgefährdet und daher vor dem Monte Torragio sogar mit Seilen gesichert. Nach der Serpentinenabfahrt am 1810 m hohen Passo di Fonte Dragurina folgten weitere lange und teils sehr ausgesetzte Hangquerungen am Monte Lega, die ständige Konzentration erforderten. Die letzten Kilometer rollten wir dann entspannt durch den Wald zur Hütte Gola di Gouta.
Und schon stand der letzte Tourtag an mit 1800 m Abfahrt, aber nur ca. 600 m Anstieg. Das hört sich einfach an, was es allerdings ganz und gar nicht war. Wir fuhren auf schönen, langen meist S1-Trails. Dazwischen gab es immer wieder schwierige, steile Abschnitte und häufig geradezu giftige Gegenanstiege. Dieser ständige Wechsel aus Rollen und voll reinpowern war wirklich kräftezehrend. Wir passierten die Terre Bianche, kleine Kreidefelsen, und dann zwang uns kurz vor dem Ziel ein aufziehendes Gewitter, die letzten 500 Tiefenmeter auf der Straße abzurollen anstatt die letzten Trails mit Blick auf das Mittelmeer zu genießen.
Welch sinnlose Höhenmetervernichtung – schade, aber nicht zu ändern.
Am frühen Nachmittag erreichten wir unser Tourziel, die Altstadt von Ventimiglia. Nach Zielfoto, Cafébesuch, Baden im Mittelmeer und Abendessen im Fischrestaurant Amadora ging es auf der Schiene zurück nach Limone. Was für eine spektakuläre Eisenbahnfahrt: Der Zug der Wunder windet sich zwei Stunden lang durch das enge Royatal mit unzähligen Serpentinen, Tunneln, Brücken und Galerien.
Erschöpft und glücklich waren wir nach sechs Biketagen mit 220 Kilometern und 7400 Höhenmetern zurück an unserem Ausgangspunkt in Limone Piemonte.
Das „einsame, ursprüngliche und wilde Ligurien“ hat uns begeistert und diese Attribute aus dem BR-Film waren überaus zutreffend: Wir haben kaum Menschen getroffen, nur zweimal andere Mountainbiker. Die kleinen Bergdörfer sind so original und liebenswert, wie man sich das nur vorstellen kann. Die Bergwelt, die Trails und in unserem Fall auch das Wetter waren so rau, dass es für uns Mountainbiker auch schon mal „wild“ wurde.
Vielen Dank an Ralph, unseren Tourguide. Und ganz viel Spaß all denen, die sich vielleicht auch auf das Abenteuer Trans-Ligurien einlassen wollen. Es lohnt sich!
Text und Fotos: Iris Wislicenus