Querbeet unterwegs auf historischen Pfaden in Polen

So ist das mit einer Idee. Sie ist auf einmal da, verschwindet wieder und meist wird sie dann endgültig verworfen. Doch manche lässt sich einfach nicht aus dem Hirn vertreiben. Sie  umschmeichelt ihr williges Opfer, verführt mit Phantasie und Hartnäckigkeit und will dann unbedingt ein Plan werden.

So geschehen im Frühjahr 2019. Eine Gruppe von zwei Dutzend, die Mehrheit Paare, Querbeet zugehörig, die meisten Ende Sechzig, auch schon einige in den Siebzigern, wollten „zusammen mal eine richtige Genusstour machen“! Ein wenig Wandern und etwas mehr Radfahren, ohne viele Kilometer und Höhenmeter zu dokumentieren, ein bisschen intensiver und gut für die meist weniger strapazierte Rumpf- und Armmuskulatur die unberührte Natur auf dem Wasser erleben. Außerdem wäre es unbedingt erforderlich, den Lieben Gott ausführlich einen guten Mann sein zu lassen, genauer: wer etwas geleistet hat, muss anschließend ausgiebig Kaffeetrinken, im Biergarten rumhängen, nach Möglichkeit genussvoll Essen und um dem ganzen sozusagen das kulturelle Sahnehäubchen aufzusetzen, die eine oder andere alte Stadt, herausragende Kathedralen und uralte Herrensitze besuchen. Damit wäre schon der Charakter unserer Fahrt beschrieben.

Wo findet man so etwas?

Sicher an vielen Orten, aber ziemlich sicher nicht in der Wüste und im Hochgebirge, aber ganz sicher in Reinkultur in den von Dichtern und Denkern seit Alters her besungenen Masuren! Da hätten wir also das Ziel unserer Träume. 2020 im Spätsommer sollte es sein … und dann kam Corona.

Los ging es dann endlich am 31. Juli 2021. Nach einer langen, doch geselligen Bahnfahrt von Erlangen über Bamberg und Berlin überquerten wir die polnische Grenze bei Frankfurt/Oder und erreichten über Posen und Lodz spätabends die polnische Hauptstadt. Der nächste Tag sah uns in verschiedenen Kleingruppen Warschau erkundend. Vor dem 2. Weltkrieg war Warschau eine der schönsten Städte Europas. Kaum jemand kann sich die glanzvolle Zeit, die das Naziregime so grausam zerstört hat, heute noch vorstellen. Die Stadt ist nun eine durchwegs junge Stadt. 1943, nach
der Niederschlagung des jüdischen Widerstands durch SS und Polizei, wurde das jüdische Ghetto vollständig gesprengt. Im Gegensatz zu großen Teilen der Hauptstadt, die nach dem 1944 gescheiterten Aufstand der nationalpolnischen Heimatarmee und ihrer Verbündeten ebenfalls von deutschen Verbänden systematisch zerstört wurden, wurde das Ghetto nicht mehr aufgebaut.

Plattenbauten stehen heute an seiner Stelle. Ein monumentales Denkmal zu Ehren des Widerstands seiner unglücklichen Bürger erinnert an das unfassbare Verbrechen, das an ihnen begangen  wurde. An der Stirnseite des Platzes steht das Jüdische Museum der Stadt, ein beeindruckendes Zeugnis postmoderner Architektur und mit einer großartig präsentierten Sammlung  tausendjährigen jüdischen Lebens in Warschau. Einigermaßen nachdenklich beim Besuch der Stadt mit ihren vielen Orten des Gedenkens an den Widerstand von 1943 und 1944 wird uns klar,  dass keiner der historischen Orte im Original überdauert hat!

Ein gastliches Hotel mitten im Wald

Der nächste Tag sieht uns nach knapp dreistündiger Busfahrt in unserem ersten gastlichen Ort in den Masuren, dem Familienhotel Mazur Syrenka in Krutyn, mitten im Wald, direkt am Ufer der  Krutynia, einem endlos mäandrierenden Flüsschen. Es wird unsere Kajaks in den nächsten Tagen tragen durch eine scheinbar endlose Aufeinanderfolge kleinerer und größerer Seen, oftmals ohne menschliche Ansiedlung, gesäumt von Urwald, verbunden durch schmale Kanäle im mannshohen Schilf, der Heimat vieler verschiedener Wasservögel, die wir in unmittelbarer Nähe passieren – im glasklaren Wasser unzählige Teichmuscheln. Ein wichtiger Punkt unseres Plans ist erfüllt, das Erlebnis unberührter Natur! Und was unsere Erwartungen an Gott, den guten Mann, betrifft: Er wird uns nicht enttäuschen, aber auf andere Weise, als wir denken!

Das Wetter meint es nicht immer gut

Eines Nachmittags mitten auf einem einsamen großen See zwingt uns eine sich schnell entwickelnde Regenböe, die uns die Sicht nimmt, in den Schutz des Schilfs. Am Rande einer der vielen, von Alleen gesäumten Landstraßen wird unser durchnässtes Häuflein vom Bus des Kanu- und Radverleihs aufgenommen. Der Rest des Tages vergeht, nicht das letzte Mal während unseres  Masurenabenteuers, mit chillen, Biertrinken, träumen, Füße stillhalten und gut Essen. (Womit nach Meinung des Verfassers nicht unbedingt die hochgelobten Pierogi gemeint sein können, zu denen er öfter als ihm lieb war, keine Alternative hatte. Die Masuren sind diesbezüglich eben nicht Franken!)

Was wollten wir noch erleben? Wir wollten ohne große Anstrengung durch die sanfte, unter einer warmen Sonne und wandernden Wolken sich behäbig ausbreitende alte bäuerliche  Kulturlandschaft der Masuren radeln. Dabei kleine mittelalterliche Städtchen wie Reszel (Rössel) erkunden, von deren Kirchturm gegenüber der mächtigen Burg wir die kleinräumige Welt des Mittelalters erblickten. Wir fuhren in eine Welt, wie sie in unserer Vorstellung vor 100 Jahren gewesen sein könnte. Immer wenn wir zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs waren strahlte sie, die  Sonne und versöhnte uns mit den trüben Tagen.

Wir besuchten das Jagdhaus der Grafen von Dönhoff. Leider war pandemiebedingt keine Führung durch die Vergangenheit einer der großen Familien Masurens möglich. Ja, die kleinen alten Städte, wir haben sie uns „erradelt“! Das war dann manches Mal doch anstrengender als erhofft.

Wir besuchten die heute touristische Stadt Mikolajki (Nikolaiken), das „Venedig Masurens“ an der Enge zwischen Sniardwy (Spirdingsee) und Jezioro Talty, deren einziges herausragendes Baudenkmal die der Schinkelschule zugerechnete neoromanische Kirche ist. Im freundlichen  evangelischen Wohnheim neben der Kirche verbrachten einige von uns die Nacht.

Wir standen in Ryn am Fuße des mächtigen Quaderbaus der Kreuzritterburg des Deutschen Ordens aus dem Jahr 1377. Wir bestaunten die mitten in der Landschaft liegende, weitläufige barocke Klosteranlage von Swietka Lipa (Heilige Linde) des Jesuitenordens mit dem wunderschönen Innenraum ihrer Kathedrale. Im direkt daneben gelegenen Örtchen haben wir ausgezeichnet gegessen – keine Pierogi!

Es war die Reise wert

Viele der Orte, die wir besuchten, waren unsere Reise wert und sind uns in guter Erinnerung geblieben – nicht zuletzt auch das gastfreundliche Völkchen der Masuren, seien es deutschstämmige und meist auch noch Deutsch sprechende Menschen oder diejenigen polnischer Herkunft. Nach gut anderthalb Wochen in den Masuren verbrachten wir weitere zwei Tage in Warschau, wo es noch viel zu besichtigen gab.

Die Rückfahrt am 12. August 2021 gestaltete sich dann zum Abenteuer. Aufgrund des damaligen Streiks der deutschen Eisenbahner erreichten wir Erlangen anders als geplant erst vier Stunden später nach einer langen Busfahrt.

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Text: Joachim Vogtmann / Fotos: R. Ehlers