Im Juli 2023 berichteten wir darüber, dass der Weg von Umhausen zur Erlanger Hütte wieder freigegeben werden konnte. Unser Wegewart Stefan Linke, der daran maßgeblich mitbeteiligt war, hat sich die Mühe gemacht, diesen Prozess, in einen umfassenden Bericht zu gießen.
Eine kleine Chronik
Beginnen möchte ich mit einer kleinen Chronik des Weges aus dem Tal der Ötztaler Ache hinauf zur Erlanger Hütte. Wobei es da sehr schwierig ist, die tatsächlichen Anfänge zu finden. Die Almen im Leierstal und im Fundustal sind teilweise seit Jahrhunderten in Betrieb. Somit sind sicher auch die ersten Steige schon sehr lange vorhanden.
1928 stiegen die ersten Sektionsmitglieder aus dem Ötztal hoch Richtung Wildgrat und erkundeten einen möglichen Bauplatz für der Erlanger Hütte. Bereits im Jahr darauf erwarb die Sektion das Wegerecht im Leierstal. In diesem Jahr erfolgte auch der „Ausbau“ des Weges im Abschnitt ab der Talstation der Materialseilbahn – im Wesentlichen so, wie er auch heute genutzt wird.
Mit dem Bau eines Kleinwasserkraftwerks in den 60er Jahren stand dann ausreichend Energie zur Verfügung, um eine Materialseilbahn zu betreiben. Diese muss auch mit Fahrzeugen erreichbar sein. Anfang der 70er Jahre wurde daher der Fahrweg hinauf ins Leierstal angelegt. Bis dahin funktionierte die Hüttenversorgung per Muli. Aber die Erlanger Hütte wurde schon ab den 60er Jahren als eine der ersten Hütten im Alpenraum auch teilweise per Hubschrauber versorgt.
Der Fahrweg hinauf – von vielen als langer Hatscher über fast 900 Höhenmeter empfunden – wurde bald auch als Fahrweg für ein Hüttentaxi genutzt.
Immer wieder gab es auch kleinere Rutschungen am Weg, die aber stets kurzfristig instandgesetzt werden konnten.
Der Hangrutsch 2010
Dann kam der Fronleichnamstag im Jahr 2010, der 3. Juni. Die Hütte war noch nicht in Betrieb, aber es waren bereits Schafe in das Leierstal hinaufgetrieben worden. An diesem Tag stieg am späten Vormittag der Schäfer mit seinem Hund hinauf, um nach dem Rechten zu sehen und die Schafe mit Salz zu versorgen. Nach der letzten Kehre auf dem Fahrweg, als es nur noch geradeaus zur Leierstalalm ging, war eine problematische Wegstelle zu passieren. Hier rinnt immer wieder Wasser über den Weg und ab und an kommt auch etwas „Material“ von oben.
Plötzlich spürte der Schäfer, wie sich der Hang unter seinen Füßen bewegte. Ohne nachzudenken rannte er los. Sein Hund, wenige Meter hinter ihm, schaffte es nicht. In wenigen Sekunden waren hunderte Kubikmeter Hang auf einer Weglänge von über 100 Metern hinab ins Tal gerauscht. Der Weg war Geschichte. Vorerst.
Auswirkungen nicht nur für die Wandergemeinschaft
Welche Auswirkung das für die Bewirtschaftung der Hütte, aber auch für die Leierstalalm hat, kann sich jeder selbst ausmalen. Kurz nach dem Ereignis – die Saison hatte bereits begonnen – wurde fieberhaft überlegt, wie man mit dem weggebrochenen Fahrweg umgehen sollte. Schnell war allerdings auch klar, dass der Hang an der Rutschstelle weiter in Bewegung bleiben würde. Eine Lösung an dieser Stelle wäre daher nur äußerst aufwändig und mit nicht zu rechtfertigendem finanziellem Einsatz möglich.
Die andere Idee, den Fahrweg von der Gehsteigalm zur Leierstalalm zu verlängern, scheiterte ebenso. Auch hier waren die geologischen Verhältnisse so schlecht, dass sie zu einer sehr teuren Lösung geführt hätten.
Wie schaute es aber für alle aus, die dort wandern gehen wollten? Auch für diese gab es keinen Weg mehr von Umhausen direkt hinauf. Es gab Überlegungen, den Weg oberhalb der Rutschstelle mit Zustieg aus dem Fundustal zu führen. Der Plan wurde aber schnell aufgegeben.
Wie ging es weiter
Für die Folgesaison 2011 wollte man aber auf jeden Fall eine Möglichkeit schaffen, direkt aus Umhausen hinauf zur Erlanger Hütte zu kommen. Man erinnerte sich an den alten Säumerweg entlang des Leiersbachs. Dieser wurde dann schnell von den Büschen und anderem Material befreit. Leider wurde an einer Stelle etwas unsachgerecht gearbeitet, so dass der Weg nicht von ganz unten nutzbar war. Man entschied sich dann dazu, auf ca. 1.500 Meter Höhe einen neuen Weg anzulegen. Dieser führte mit etwas Auf und Ab vom alten Fahrweg hinüber an den Leiersbach. Dort wurde eine neue Brücke errichtet. Auf der anderen Seite stieg der Weg dann steil entlang des Bachs hinauf zur Vorderen Leierstalalm. Die Kosten von ca. 40.000 Euro für den neuen Weg wurden dankenswerterweise weitgehend von der Gemeinde Umhausen übernommen. Die Hütte war jetzt also auch wieder für Wanderer erreichbar. Auch das Hüttentaxi konnte seinen Betrieb wieder aufnehmen.
Leider hat der neue Weg auch eine Schwachstelle: die Brücke über den Leiersbach. Bedingt durch die zunehmenden Starkregenereignisse entwickelte sich der Leiersbach zu einem der aktivsten Murbäche im Ötztal. Mehrfach wurde die Brücke weggerissen. In einem Jahr sogar drei Mal. Der Neubau kostete jedes Mal viel Geld. Der letzte Neubau im Jahr 2022 schlug mit 8.000 Euro zu Buche. Auch die Sektion hat hier immer wieder Geld dazugegeben.
Einheimische mit kreativen Lösungen
Es gab aber auch noch eine andere Entwicklung. Bereits im Jahr des Hangrutsches stiegen Ortskundige wie heimische Almbauern und Jäger über die Stelle des Hangrutsches hinüber auf die andere Seite. Dies war zwar gefährlich, aber sie kannten die örtlichen Gegebenheiten und konnten diese auch gut einschätzen.
Am Grund des Fahrwegs verlief eine Druckrohrleitung der TIWAG. Diese wurde in den Jahren nach dem Hangrutsch auch wieder in Ordnung gebracht.
In den Folgejahren nutzten vor allem die Einheimischen den Pfad über die Rutschstelle. Und wir vom DAV mussten unsere Gäste immer über den Umgehungsweg schicken. Dieser hatte knapp 100 Höhenmeter mehr und durch seine steilen Stellen entlang des Leiersbachs wurde er auch als unbequem empfunden. Gleichzeitig bauten die Menschen auf der Leierstalalm den Pfad an der Rutschstelle immer weiter aus, bis er sogar mit einem Quad befahrbar war.
Entscheidende Schritte
2021 war dann ein entscheidendes Jahr. Sowohl vor Ort als auch hier aus der Erlanger Ferne war die ungerechte Situation schwierig auszuhalten. Folglich gab die Gemeinde ein Gutachten bei einem Geologen in Auftrag. Die Frage: Kann der Weg auf der Strecke des ehemaligen Fahrwegs wieder für Wanderer nutzbar gemacht werden? Das Fazit: ein eindeutiges „Ja, aber …“.
Auch wir vom DAV gaben eine Gefährdungsbeurteilung in Auftrag. Mittels des anerkannten RAGNAR-Verfahrens kamen wir zu dem gleichen „Ja, aber …“-Ergebnis. Seitdem weiß ich auch, wie Steinschlag in der Sprache der Juristen heißt: “gravitative Naturgefahren”. Das Verfahren RAGNAR steht für „Risiko Analyse Gravitativer Naturgefahren im Alpinen Raum“ und wurde vom ÖAV gemeinsam mit der Tiroler Landesgeologie erarbeitet. Dabei wird ermittelt, wann und wie viele Steinschlagereignisse
zu erwarten sind – tatsächlich nach Monaten aufgeschlüsselt.
Ebenso wird die Anzahl aller Begeher*innen ermittelt – also nicht nur unsere Gäste, sondern auch die Jägerschaft, Almbetreiber*innen, TIWAG-Beschäftigte etc. Daraus wird dann die Wahrscheinlichkeit berechnet, nach der sich Mensch und Steinschlag „treffen“. Um sicher zu gehen, werden für die Berechnung die doppelten Werte für die Begeheranzahl und die Steinschlagfrequenz herangezogen.
Es gibt für jede Wegart von der Autobahn über Bahnstrecken, Bundesstraßen, Forststraßen etc. hinweg tolerierbare Anzahlen an tödlichen Unfällen resultierend aus gravitativen Naturgefahren. Für einen roten Bergweg liegt dieses tolerierbare Risiko bei 1:10.000 und für einen Talweg (also ohne Klassifizierung) bei 1:100.000. Um es kurz zu machen: Die Hangrutschstelle kann wieder begangen werden. Das vom Gutachter berechnete Risiko liegt bei 1:1.500.000.
„Ja, aber …“
Sowohl das Gutachten der Gemeinde Umhausen als auch RAGNAR kommen zu dem Ergebnis, dass temporäre Wegsperren bei Starkregen erforderlich sind. Diese müssen über eine entsprechende Beschilderung vorgenommen werden.
Und noch ein Hindernis gab es. Der DAV Erlangen ist nicht der alleinige Wegehalter auf dem ehemaligen Fahrweg. Das ganze Jahr 2022 habe ich versucht, den zweiten Wegehalter, die Bringungsgemeinschaft Fundus- und Leierstal zu einem gemeinsam getragenen Beschluss zur Wegöffnung zu bringen.
Endlich: Wegöffnung 2023
Nachdem dies bis ins Frühjahr 2023 nicht erfolgreich war, nutzte ich die Wegewart-Tagung des DAV, ÖAV und AVS in Kaprun zu einer Gesprächsrunde mit dem Bundesverband, dem Ersteller des RAGNAR-Berichts, dem Rechtsberater des ÖAV und des DAV. Anhand vorliegender Unterlagen stellten wir fest, dass es keine rechtlich verbindlich angeordnete Wegsperrung ab dem Jahr 2011 gab. Hierdurch war unser bestehendes Wegerecht nicht erloschen. Somit lag es alleine an meiner Entscheidung als Wegewart, den Weg als roten Bergweg wieder zu öffnen. Die Entscheidung fiel mir – ehrlich gesagt – nicht ganz leicht, denn damit musste ich die Last der Entscheidung alleine tragen.
Jetzt mussten allerdings noch kurz vor der Saison – es waren nur noch drei Wochen bis zu Hüttenöffnung – entsprechende Schilder aufgestellt werden.
An dieser Stelle muss ich ausdrücklich einer Person im Ötztal meinen persönlichen und auch den Dank der Sektion aussprechen: Leopold Holzknecht. Als Leiter des TVB-Büros Umhausen-Längenfeld organisierte er dies kurzfristig und zuverlässig. Kleine Unschärfen werden in diesem Jahr noch beseitigt.
Die Schilder stehen jetzt unten im Tal und oben an der Hütte und weisen zweisprachig auf die Wegsperre bei Starkregen hin. Direkt vor und nach der Rutschstelle sind nochmals Schilder mit Verhaltensregeln aufgestellt.
Die ARGE Wegebau im Vorderen Ötztal
Ein abschließendes Wort noch zur Wegearbeit vor Ort. 2008 wurde auf Betreiben des Bundesverbands eine Arbeitsgemeinschaft für den Wegebau im Vorderen Ötztal gegründet. Viele schauten zuerst skeptisch auf diese ARGE. Eine Sektion hat ihr auch den Rücken gekehrt. Aktuell sind die Sektionen Bielefeld, Schweinfurt, Hof (Winnebachseehütte) und Amberg auf der Sellrainer Seite dabei. Im Geigenkamm sind neben uns noch der ÖTK (Frischmannhütte) sowie die DAV Sektionen Ludwigsburg (Hauerseehütte), Rüsselsheim und Mainz Mitglieder.
Im Sommer sind beim TVB-Bauhof in Längenfeld mehrere Arbeiter ausschließlich für die Wegearbeit abgestellt. Diese begehen selbständig alle Wege und kümmern sich zuverlässig um notwendige Arbeiten. Als Wegewart kann ich mich im Wesentlichen auf die notwendigen Kontrollgänge beschränken. Auch hier hält die Digitalisierung Einzug. Mittels einer App kann ich Bilder von fehlenden Schildern (zumindest vom Standort) oder kaputten Wegstellen direkt weitermelden. Die ARGE wird finanziell hauptsächlich vom TVB Ötztal getragen. Einen weiteren großen Batzen trägt der Bundesverband bei. Unser Sektionsanteil beläuft sich 2024 auf 1400 Euro.
Seit nunmehr sechs Jahren bin ich Sprecher der ARGE. Wir treffen uns einmal im Herbst, um die zurückliegende Saison zu besprechen und das kommende Jahr zu planen.
Originaltext: Stefan Linke; überarbeitet von Karina Brock/DAV
Fotos: Stefan Linke, Anna Welling